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1. Das Ruhrgebiet: Begriff, Mythos und Heimat?
Mythos Ruhrgebiet,
was ist das? Viele sprechen davon, doch kaum einer weiß Genaueres.
Hier gilt es nun, die Hintergründe des Mythos zu erhellen und auch
noch die Fragen zu klären: Gab es den Mythos wirklich? War er wirklich
so groß? Hat er eine Zukunft? Ist er noch lebendig? Oder ist er
wieder auferstanden? Oder ist der Mythos nur noch Erinnerung oder gar
Illusion?
Nun, das Ruhrgebiet existiert wirklich. Im 19. Jahrhundert wurde es zum
größten industriellen Zentrum Preußens und heute bildet
es die Mitte des Landes Nordrhein-Westfalen. Die größten Städte
dort sind Dortmund, Essen und Duisburg. Die Grenzen des Ruhrgebiets wurden
aber nie genau festgelegt, und die Entwicklung zu eine Metropole wie Berlin
war nie im Interesse der Mächtigen von damals bis heute. Man könnte
dagegen meinen, das Ruhrgebiet benötige gar keine Grenzen, weil es
mit der ganzen Welt interagiere.
Heinrich Böll schreibt 1960: "Entdeckt ist das Ruhrgebiet noch
nicht. Es bleibt Mythos oder Begriff und ist doch Heimat, so geliebt wie
jede andere Heimat." Auch die Identität eines typischen Ruhrgebietsmenschen
lässt sich keineswegs exakt eingrenzen, und so lässt sich auch
niemand so eben mal ausgrenzen. Es bieten sich also genügend Ansätze
für die Legenden- und Mythenbildung, denen hier nachgegangen werden
soll.
2. Mythos Ruhr, Emscher oder Rhein?
Das Ruhrgebiet wird
im Westen vom Rhein durchflossen, der von je her als mächtiger Strom
Gegenstand der Mythenbildung war. Bereits im mittelhochdeutschen Nibelungenlied
des Mittelalters spielt er eine wichtige Rolle, weltbekannt ist Richard
Wagners Oper "Rheingold" (1869). Legendär die Lyrik zum
Rhein. Die übrigen Flüsse des Ruhrgebiets spielen in der Literatur
keine besondere Rolle. Sogar die Benennung des Ruhrgebiets, hier kurz
"Revier" genannt, nach dem Fluss Ruhr ist eher etwas irreführend.
Der Bergbau begann vor 200 Jahren an der Ruhr, hatte hier wohl sein erstes
Zentrum, um später nach Norden zu wandern. Heute sehen wir die Ruhr
als südlichen Fluss des Reviers an und die Lippe als nördlichen,
die von extremen industriellen Eingriffen verschont geblieben sind und
intakte bis idyllische Landschaften durchfließen. Der Fluss aber,
welcher eigentlich das Schicksal der Mythos-Industrielandschaft widerspiegelt,
ist die Emscher, welche mitten durch das Revier fließt. So wurde
für das Ruhrgebiet auch schon der Name Emscher-City genannt, was
sich aber im allgemeinen Sprachgebrauch nicht durchsetzen konnte. Die
Emscher mäanderte vor der Industrialisierung eine landwirtschaftlich
geprägte Landschaft, sie bot Trinkwasser und war reich an Fischen.
Im Zeitalter der Industrialisierung wurde die Emscher immer stärker
durch ungeklärte Abwässer aller Art verschmutzt, sie war bereits
1880 biologisch tot. Durch Überschwemmungen des flachen Emschertals
kam es zu Epidemien. Der 1899 auf staatlichen Druck gegründeten und
1904 per preußischer Gesetzgebung legitimierten Emschergenossenschaft
gelang es tatsächlich, die Probleme zu lösen, indem die Emscher
systematisch mit Beton kanalisiert und zu einem gewaltigen System der
Reinigung und Abführung sämtlicher Abwässer des Kern-Ruhrgebietes
ausgebaut wurde. Ab den 1960er Jahren ging die Schwerindustrie immer stärker
zurück, zunächst der Bergbau und folgend die Stahlindustrie.
So konnte die Genossenschaft mit Rückendeckung des Gesetzgebers mit
dem Ende der Bergsenkungen etwa 1999 beginnen, die Emscher zu renaturisieren.
Bis zur Vollendung dieses wahrhaft riesenhaften Projekts im Jahr 2020
werden 4,5 Milliarden Euro investiert worden sein. Die Abwässer werden
dann erstmals in der Geschichte des Ruhrgebiets vollständig unterirdisch
kanalisiert abgeführt. In die Emscher gelangt dann nur noch einwandfrei
geklärtes oder natürliches Wasser, gleichzeitig wird die Emscher
wieder ein natürlich aussehender Flussverlauf zurückzugeben.
Ein Muster-Masterplan: Die Emscher wird wieder leben -ist das nicht Stoff
für einen Mythos Emscher?
3. Menschen im Ruhrgebiet
Die vermutlich stärkste
Säule des Mythos Ruhrgebiet bilden die Menschen, die hier leben.
Eine große und bunte Vielzahl von Menschen unterschiedlichster Nationen
sind seit der Industrialisierung der Region gekommen, um hier zu arbeiten
und zu leben. Im Ruhrgebiet gab es früher so viel (bezahlte) Arbeit,
dass der Zuzug ökonomisch Sinn machte. Und der Zuzug war gewaltig,
obwohl die zu vergebende Arbeit, die "Maloche" oft hart, gefahrvoll
und schmutzig war, zudem rund um die Uhr in drei Schichten, 364 Tage im
Jahr zu leisten war. In den Zechen, Kokereien, Hochofenbetrieben, Stahlwerken,
Gießereien, Walzwerken usw. herrschten heute unvorstellbare Arbeitsbedingungen,
und doch waren die Arbeitenden stets stolz auf ihre Leistungen und auf
ihren Betrieb. Die Zeche wurde liebevoll "Pütt" genannt.
Pflichtbewusstsein wurde großgeschrieben; Einsatz, Solidarität
und Verlässlichkeit in Arbeit und Nachbarschaft war ungeschriebenes
Gesetz.
Die überaus große Identifikation mit dem Krupp-Hüttenwerk
Duisburg-Rheinhausen wurde der Welt vor Augen geführt, als der Krupp-Konzern
1987 das Ende einer 100-jährigen Industrietradition verkündete.
Mit Demonstrationen und Aktionen aller gesellschaftlichen Gruppen versuchten
die Menschen der Region leidenschaftlich, das Ende des Werkes zu verhindern-
letztendlich vergeblich. 16000 Arbeitsplätze gingen bei Krupp verloren,
4000 Arbeitsplätze entstanden durch das neu errichtete Logistikzentrum
am Rhein am historischen Standort bis 2014. Was bleibt, ist der Mythos
von einem großen Kampf ... und die "Brücke der Solidarität"
über den Rhein.
Kaum eine Region Deutschlands ist ein solcher sozialer Schmelztiegel,
kaum eine andere Region hat solch eine praktische Integrationsleistung
erbracht. Natürlich ist nicht alles perfekt gelungen, es gibt Probleme
mit Ansätzen zu Parallelgesellschaften und mit der größten
Partei, den Nichtwählern. Insbesondere in der letzten Zeit werden
einigen Städten besondere Lasten aufgeladen -aber dennoch bleibt
man im Revier hilfsbereit und weltoffen, jeder soll hier seine Chance
haben.
Neben der Maloche gab und gibt es zum Ausgleich eine große Breite
an Freizeittätigkeit, der Ruhrgebietsmensch ist überwiegend
gesellig. Die Arten der Geselligkeit sind vielfältig und bunt, Kommunikation
ist immer wichtig und natürlich "Einigkeit macht stark".
Neben traditionell starken Veranstaltungen wie Volksfesten, Messen, Märkten,
Stadtfesten, Tanzveranstaltungen im großen oder kleinem Kreise steht
ganz oben die sehr ernsthafte Betätigung in einer Vielzahl unterschiedlichster
Vereine. Die Themen der Vereine reichen von der Tierhaltung über
Schrebergarten, Fußball (sehr wichtig!), andere Sportarten bis hin
zu Bürgervereinigungen (Brauchtum, Erinnerungskultur), Gewerkschaften
und Parteien. Auch heute soll jeder im Ruhrgebiet nach seiner Fasson (Preußenkönig
Friedrich II., 1740) glücklich werden können. Friederich II.
hatte dabei klar gestellt, dass die Pflichten als Staatsbürger Vorrang
vor allem haben.
Der Mythos Ruhrgebiet lebt weiter in seinen Menschen und ihren Erinnerungen.
4. Mythos Industriegigant
Die Industrieanlagen,
welche an Rhein, Ruhr und Emscher die Region seit der Industrialisierung
im großen Maße ihren Stempel aufprägten, hatten riesige
Dimensionen. Diese sind aber nur noch in wenigen heutigen Industrielandschaften
erhalten. Vor allem in Duisburg existieren noch aktiv produzierende Hochöfen,
Stahlwerke, Walzwerke, Kokereien und Kraftwerke. Einige Stadtteile Duisburgs
entsprechen auf diese Weise noch soeben dem früheren, weitverbreiteten
Landschaftstypus "Industrielandschaft". Der Mythos Ruhrgebiet
entwickelte sich aus den hier noch wirklich in Realität zu erlebenden
Riesen-Dimensionen seiner Industrie! Wenn man sich vor Augen hält,
dass allein ein Hochofen in Duisburg bis zu 10.000 t Roheisen am Tage
erschmelzen kann und mit seine Höhe von 60 m weithin die Landschaft
überragt. Die größten Kirchen von Duisburg kann man leicht
übersehen in der Umgebung eines Hochofens und seiner Nebenanlagen,
weil diese riesengroßen Aggregate zur Roheisenerzeugung die Landschaft
hier in einem viel größerem Maße prägen als die
Kirchengebäude. Gewaltige Abmessungen weisen auch die zur Stahlerzeugung
eingesetzten LD-Konverter auf. Hier haben wir Reaktionsgefäße,
die in einer Charge auf einen Schlag 500 t oder mehr Roheisen bzw. Rohstahl
fassen können. Gewaltige Reaktionen beim Frischen des Stahls durch
reinen Sauerstoff resultieren in hellen Lichterscheinungen, welche die
Nächte im Duisburger Norden mit einem rötlich schimmernden Himmel
erleuchten. Wie lange wird die Stahlindustrie, der lebendige Mythos in
Duisburg noch existieren?
Ein Blick in die Vergangenheit: Die Umwandlung von rotglühenden Stahlblöcken
mittels Blockwalzwerk. Wer diese gewaltigen Kräfte, die enorme spezifische
Geräusch- und Abdampfentwicklung solcher Block-Walzwerk einst gesehen
hat, war im höchsten Maße beeindruckt durch die gewaltigen
Kräfte, mit denen riesengroße Stahlblöcke zu Brammen umgeformt
wurden. Heute geschieht diese Transformation aus der Schmelze direkt zur
Bramme in Stranggieß-Anlagen, die nach außen hin unspektakulär
und nahezu dampf- und geräuschlos ihre Dienste abliefern.
Die ehemals prägenden Industrielandschaften sind seit Jahren auf
dem Rückzug, die Anlagen werden gesprengt, abgerissen und planiert,
"plattgemacht" in der plastischen Sprache des Reviers. Warum
diese Aggressivität im Umgang mit den Wahrzeichen der Vergangenheit?
Kaum etwas erinnert heute mehr an die glorreiche Vergangenheit mit ihrer
gigantischen Entfaltung der Produktivkräfte, mit der gewaltigen Leistung
der Menschen, die das ganze Land nach zwei Kriegen wieder nach oben brachte.
Der Mythos droht aus dem Bewusstsein zu verschwinden, weil nichts mehr
außer einer kleinen verwitterten Tafel heute an die ehemaligen Giganten
der Landschaft erinnert. Mit in jedem Fall großer bürgerschaftlicher
Kraftanstrengung wurden nur an wenigen Orten des Reviers die Riesen der
vergangenen Industrie im positiven Sinne quasi museal erhalten: Zeche
Zollern, Zeche und Kokerei Zollverein, Hütte Hattingen und der Landschaftspark
Duisburg Nord, hier liebevoll LaPaDu genannt.
Es gilt die Losung: Der Mythos Ruhrgebiet hat seine Zukunft auch im Erhalt
seiner Industriedenkmäler.
5. Die Farben des Mythos
Farben sind unzerstörbar,
hier hat der Mythos Ruhrgebiet seine physische Unsterblichkeit: Die Farben
der Schwerindustrie sind die Farben des Mythos. Zuerst kommen Kohle und
Koks, die Farbe ist Schwarz.
Heinrich Hauser titelt sein legendäres Foto- und Essaybuch 1930:
"Schwarzes Revier".
Die Wertschöpfungskette der Eisenwerkstoffe spiegelt sich in verschiedenen
Farben wieder: Als erstes haben wir das Rot der Schmelze des Roheisens
und den etwas helleren Ton der Hochofenschlacke. Nach dem Transport des
Roheisens mittels Torpedowagen zum Stahlwerk, in welchem die flüssige
Roheisenschmelze in riesige Konverter eingefüllt wird, die dann,
hoch aufgerichtet mit reinem Sauerstoff die Eisenschmelze reinigen, frischen.
Hier reicht die Farbenskala von sonnenhell strahlendem hellgelb beim Frischen
bis hin zum hellrot gefährlich spritzenden Stahlabguss.
Die Farben des Warmwalzens sind glühendrot, hingegen zeigt sich der
im Kaltwalzwerk zu Automobilblech veredelte Stahlwerkstoff von metallisch
glänzend bis zu mattgrau metallic changiert -je nach Verarbeitung.
Das Wasser als Lebensstoff mit seiner Symbolfarbe Blau bildet den kühlenden
Gegensatz zu den vielen rötlichen Tönen der Roheisen- und Stahlerzeugung.
Ohne Wasserkühlung würden die Hochöfen durch die Hitze
des Schmelzprozesses durchbrennen.
Farben sind unsterblich. Durch ihre Symbolkräfte lebt der Mythos
Ruhrgebiet immer weiter.
6. Manifestationen
des Mythos
Die Mythen der Vergangenheit
und Gegenwart des Reviers manifestieren sich vor allem in der Fotografie.
Parallel zur Industrialisierung entwickelte und etablierte sich die Fotografie
als Medium der glaubwürdigen Dokumentation, der ästhetische
Repräsentation, der Kunst und der Reflexion. Krupp nutzte die Fotografie
bereits 1860. Immer mehr heute unbekannte Fotografen im Dienst der Industriebarone
lichteten zunehmend im Laufe der Industrialisierung Produkte, Fabriken
und die stolzen Eigentümer ab, doch schon bald kamen Fotografien
der nicht minder stolzen Werktätigen hinzu.
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der fotografische Blick
kritischer, sachlicher, und die Fotografen machten sich einen Namen.
Albert Renger-Patsch (1897-1966) ragte als Fotograf der neuen Sachlichkeit
seit den 1920er Jahren hervor, seine strukturierten Aufnahmen der Industrie
können aus heutiger Sicht als Wegbereiter der heute weltbekannten
Becher-Schule gelten: Die Bechers gaben in ihrer Fotografie der Schwerindustrie
der Welt, besonders aber dem Ruhrgebiet, ein dokumentiertes und gleichzeitig
ästhetisches Gesicht, Gedächtnis und Testament.
Heinrich Hauser (1901-1955) begründete mit seinem sprachmächtigen
Essayfotobuch "Das schwarze Revier" 1930 eine Tradition von
humanistischer und emotionaler Fotografie, die von Chargesheimer (1924-1971)
und Horst Lang (1931-2001) je eigenständig fortgeführt wurde.
Heute ist die Zahl der Bildbände zum Ruhrgebiet unübersehbar.
Das Ruhrgebiet manifestiert sich auch in der Literatur, in den bildenden
Künsten, in der Musik und auch besonders im Film, der Anteil der
Schimanski-Serie im Fernsehen mit den chineastisch interessantesten Locations
der Reviers in Duisburg, in welcher eine neue Art Kriminalermittler sich
durch seine Fälle "schlägt".
Die Fotografie beinhaltet jedoch auf besondere Weise Emotion, Realität,
Vergangenheit, Gegenwart und Antizipation und wirkt somit potenziell sowohl
erkenntnis- als auch mythenbildend.
7. Mythos und
Sündenfall
Viele Kulturen und
Reiche, die vergingen, leben heute, neuerstanden aus Erinnerung, vom Tourismus.
In Berlin und Potsdam werden mit Millionen von Euro die baulichen Ikonen
Preußens wiederhergestellt oder neu errichtet, so entstehen die
Stadtschlösser in Potsdam und Berlin mit Millionenaufwand neu.
In unserer Zeit soll der NRW-Tourismus auch auf einem guten Wege sein,
aber ist es so nicht ein Sündenfall, weitere Bauwerke der Industrie-Erinnerung
abzutragen?
In vielen Städten des Ruhrgebiets gibt es schon lange keinen einzigen
Hochofen mehr zu sehen, noch nicht einmal einen stillgelegten, seiner
Nebengebäude beraubten kümmerlichen Rest. Warum wurde der letzte
Hochofen der Gutenhoffnungshütte Oberhausen beseitigt, der von der
B231 zu sehen war auf dem Weg von Duisburg über Oberhausen nach Essen?
Er war nicht sehr groß, an gleicher Stelle ist heute, mindestens
30 Jahre später, immer noch nur ein Brachgelände übrig.
Dort, wo August Sander und Albert Renger-Patsch Ikonen der Ruhrgebietsfotografie
auf Silbergelatine bannten, später Wolf Strache in den fünfziger,
Bernd und Hilla Becher und Horst Lang in den sechziger Jahren. Unterschiedliche
Regisseure wie Veit Harlan (Der Herrscher, 1937), Helmut Käutner
(Der Rest ist Schweigen, 1959) und Jean Chapot (Schornstein Nr. 4, 1966)
haben an diesem Ort gedreht. Was früher "Gutehoffnungshütte"
und von 1953 an HOAG (Hüttenwerke Oberhausen AG) hieß, diese
Hochofengruppe von Thyssen war eine Sehenswürdigkeit. 1959 wurde
hier der Hochofen A angeblasen, der sich bei einem Volumen von 1470 m³
90 m in den Himmel reckte und bereits 1980 durch Sprengung beseitigt wurde,
jedoch durch die Fotografie besonders der Bechers zur Ikone wurde.
Warum ließ ThyssenKrupp den Hochofen 4 in DU-Bruckhausen abreißen,
das Symbol des Ruhrgebiets (Rheinische Post), das Fotomodell, die Industrie-Ikone,
die Landmarke des Ruhrgebiets und Wahrzeichen der Technikgeschichte (Frankfurter
Allgemeine) der in vielen Schimanski-Filmen so eindrucksvoll ins Bild
kam, quasi ein Ikone im Film?
Warum wurde der Hochofen 8 in Ruhrort gesprengt? Bis heute ist auf dem
weitläufigen Gelände des früherem Phoenix-Werkes (gegründet
1852) viel Platz, viel Brache, es ist an gleicher Stelle noch nichts Neues
entstanden.
Warum soll bald der sehr massive Schlot der Sinteranlage Ruhrort-Meiderich
als letzte überlebende Landmarke dieses ehemals so stolzen Phoenix-Werkes
bald abgerissen werden, um dort den Landschaftspark zu erweitern? Es wäre
doch viel sinnvoller, den Landschaftpark zu erweitern mit einem Wahrzeichen,
das bestaunt werden kann. Diese Landmarke, dieser Schlot ist extrem massiv
gebaut, und ihn abzureißen kostet viel Geld, das die öffentliche
Hand in diesem Falle einmal gottseidank nicht hat. Daher ist es für
den Erhalt noch nicht zu spät. Es gibt kein einziges Denkmal einer
Sinteranlage und diese könnte zu einer Attraktion für den erweiterten
Landschaftpark werden.
Jede Frage ein Klage, jede zu viel abgerissene Industrie-Landmarke ein
Verlust, ein Sündenfall.
Erhaltung des noch wenig Verbliebenen sollte Vorrang vor Abriss haben.
8. Wirtschaft
und Politik heute. Das Ende des Mythos?
Die ökonomische
Situation des Ruhrgebiets ist aktuell alles andere als rosig. Im Laufe
der letzten 40 Jahre sind hunderttausende Arbeitsplätze im Ruhrgebiet
verloren gegangen, von 128 Zechenanlagen im Jahr 1959 sind noch drei Zechen
geblieben, die bis 2019 geschlossen sein werden. Das wahrscheinlich mit
PCB verunreinigte Grubenwasser hingegen muss aber noch "ewig"
gehoben, gereinigt und abgeführt werden. Die Stahlindustrie, früher
in fast allen Städten des Reviers durch entsprechende gewaltige Industrieanlagen
präsent, existiert praktisch nur noch in der Stadt Duisburg mit dem
Standortvorteil direkt am Rhein. In Duisburg wurden dennoch mindestens
drei große industrielle Einheiten der Stahlindustrie stillgelegt,
zwei wurden größtenteils abgerissen, einer wurde zum Landschaftspark.
Symbolisch: Die Produktion von Schienen in Duisburg begann etwa 1898,
sie endete im Jahr 2014, in der gesamten Bundesrepublik werden nun keine
Schienen mehr produziert, obwohl doch Bedarf besteht.
Der sogenannte Strukturwandel verlangt den Menschen der Region alles ab,
weil die in der Schwerindustrie verloren gegangenen Arbeitsplätze
eben immer noch nicht durch andere aufstrebende Industrien oder Dienstleistungen
neu geschaffen wurden. Der Tourismus kommt zu langsam in Gang, förderlich
wäre eine Vermehrung der Orte zur Besichtigung des Mythos, und nicht
das Gegenteil.
Zunächst als zukunftssicher angesehene Produktionsstandorte und damit
Arbeitsplätze im Bereich Telekommunikation und Automobilproduktion
(Bochum) wurden abgebaut. Hier hätte der früher belächelte
Tourismus eine Chance, wenn es in Zukunft nicht weniger, sondern mehr
Industriedenkmäler zu bestaunen gäbe.
Zusätzlich wurden das Land Nordrhein-Westfalen und insbesondere die
Städte durch die neu gewonnene Einheit Deutschland ab 1989 durch
Solidaritätsabgaben in Milliardenhöhe belastet. Dabei standen
und stehen im Ruhrgebiet immer noch gewaltige Probleme auf der Tagesordnung
bei der Transformation von einer enorm durch die Schwerindustrie geprägten
Region zu einer Region mit neuen wirtschaftlich tragenden Strukturen.
Dazu bedarf es gewaltiger Investitionen. Sollte das Projekt Emscher der
deutschen Politik nicht Mut dafür machen?
Während man in den neunziger Jahren hierzulande gelegentlich noch
optimistisch in die Zukunft blickte, so rückten nach dem Ende der
euphorischen Internationalen Bauausstellung IBA Emscherpark 1990-2000
die negativen Schlagzeilen wieder in den Focus der Berichterstattung zum
Ruhrgebiet.
Seitdem, so scheint es, verschärften sich die Probleme immer weiter
bis zum heutigen Stand der Dinge. Die Städte der Republik, besonders
die im Revier sind für ihre gewaltigen Aufgaben seit Jahrzehnten
unterfinanziert. Der Volksmund spricht im typischen Ruhr-Klartext sogar
von kommunaler "Pleite". Auch im Bildungsvergleich glänzen
NRW und Ruhrgebiet nicht mehr. Die Aufbruchstimmung in Folge der Gründung
von Gesamthochschulen und Kollegschulen (Johannes Rau als NRW Ministerpräsident
und Herwig Blankertz als wissenschaftlicher Genius) ist verflogen wie
ein Rausch. Heute ist eine Bildungsreform mit mehr Mitteln und besseren
Strukturen notwendig. Notwendig ebenso eine Reform der Verwaltung des
Landes, eine bessere Wirtschaftspolitik und eine stärkere europasichtige
Interessensvertretung. Das Land NRW wird zunehmend als kraftlos empfunden,
daran sollte sich etwas ändern lassen! Überfällige und
sinnvolle Investitionen z.B. in Infrastruktur (Tourismus, ÖPNV, Straßen,
Wege, Parks, Brücken, Flächenrecycling etc.), in Bildung und
Berufsbildung in der Rhein-Ruhr-Emscher-Lippe-Region können von den
Kommunen auf keinen Fall ohne zusätzliche Hilfe geschultert werden.
Wer hilft nun dem Ruhrgebiet? Welche Maßnahmen sind noch zusätzlich
notwendig? Die Diskussionen der Politik, vor allem zur Finanzierung ziehen
sich unerträglich lange hin, und wenn erst ab dem Jahre 2020 die
Bundes-Finanzpolitik den alten Industrierevieren einen neuen Stellenwert
einräumen sollte, wird es vielleicht schon zu spät sein. Wahlbeteiligung,
Armutsberichte, Arbeitslosenstatistik und die problematisch sich entwickelnde
Immobiliensituation, insbesondere im Norden des Reviers, sprechen eine
andere Sprache, nämlich die der Krise und der "Stupid Economy".
9. Mythos und Zukunft?
Der
Mythos Ruhrgebiet hat gewaltige Schrammen abbekommen. Die Fragen: Was
tun im Ruhrgebiet? Wer hilft nun dem Ruhrgebiet? müssen nun als nächstes
mit Ideen beantwortet werden.
Die
Risiken, aber auch die Chancen für die Zukunft sind beträchtlich,
vor allem müsste die politische Zersplitterung des Reviers dringend
überwunden werden. Gemeinsame Umsetzung von Förderung von Wirtschaftskraft
und Verkehrsinfrastruktur über die Grenzen der einzelnen Kommune
hinaus ist das Gebot der Stunde. Auch muss die Bundesrepublik endlich
dazu die Kommunen mit nachhaltig genügend Finanzmitteln ausstatten.
Die Zukunft kann noch gut werden, wenn endlich die richtigen Maßnahmen
ergriffen werden.
Dann
mag es heißen: Der Mythos lebt weiter.
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